Mittwoch, 27. November 2013

Mit den Jahren ist alles anders geworden...






Mit den Jahren ist alles anders geworden, und ich wünsche mir eine Angst von früher zurück, irgendeine, die vor dem Dunkel zum Beispiel. Es gab so einfache Lösungen damals. Für die Angst vor dem Sprung und für das Unbehagen vor dem ersten Schultag. Da war immer jemand, der wusste, was zu tun war, damit es aufhört. Die Ängste von früher waren so, dass man Lieder singen konnte, damit sie kleiner wurden. Das hat tatsächlich funktioniert und ihr Verschwinden merkte man kaum.
Die Angst von heute sieht anders aus als früher, sie ist älter geworden, etwas konfuser und aus der Form geraten. Sie klingelt nicht, sie kündigt sich nicht an, sie ist einfach da und lässt sich nicht wegsingen. Ich kann dir nicht sagen, dass sie da sitzt, denn du würdest an den Rand fahren und meinen Kopf in deine Hände nehmen, wo vorher noch das Lenkrad war. Wahrscheinlich wäre dann alls wieder gut, aber ich möchte dich nicht brauchen müssen, nicht jetzt schon. Du würdest deinen Arm um meine Schulter legen und mich hin und her wiegen und mit ruhiger Stimme sprechen, und ich würde mich für verrückt halten und nach ein paar Minuten sagen, es sei wieder okay. Vielleicht würdest du aus dem Fußraum eine alte Zeitung fischen und beginnen mir vorzulesen, kein großes Tamtam, nur meinen Blick umklammert halten, einen neuen Fokus suchen, damit ich mich konzentriere. Den Rest der Fahrt würde ich mich einfach nicht mehr umdrehen.
Wenn ich dir nicht sage, dass sie da sitzt, die Angst, dann gibt es keinen Grund anzuhalten. Du fährst uns ans Meer und alles wird gut. Ich setze mich auf meine Hände und halte es aus, ich bin alt genug, und du kurbelst das Fenster herunter. Dich anzusehen und schon in diesem Moment zu merken, wie du mich veränderst, wie du dich mit jedem Kilometer in diesem Auto unentbehrlicher machst. Es ist so, es ist schwierig, dich nicht permanent an der Hand halten zu wollen.
Also schiebe ich die Finger unter meine Oberschenkel und verhalte mich ruhig. Es stimmt nicht, dass die Angst verblasst mit der Zeit. Sie hat es sich einfach nur bequem gemacht, und ich bemühe mich, sie zu übersehen. Das dürfte so schwierig nicht sein, sie ist ja nichts Neues.


(Aus "Und im Zweifel für sich selbst" von Elisabeth Rank)